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Tao Te King: Version R. L. Wing

ins Deutsche übersetzt von Peter Kobbe




1 Der Anfang der Kraft


Das sagbare Tao
Ist nicht das Tao des Absoluten.
Der nennbare Name
Ist nicht der Name des Absoluten.

Das Namenlose rief Himmel und Erde ins Leben.
Das Nennbare ist die Mutter aller Dinge.

Demnach enthüllt sich dem erwartungslosen Blick
Stets der Beweg-Grund;
Dem erwartungsvollen Blick aber enthüllt sich
Stets die Begrenzung.

Der Ursprung der beiden ist der gleiche.
Nur dem Namen nach sind sie verschieden.
Zusammen nennt man sie tief,
Tief und geheimnisvoll,
Das Tor zum kollektiven Beweg-Grund.

2 Die Polarität nutzen


Wenn alle Welt das Schöne als Schönes erkennt,
So nur auf dem Hintergrund des Hässlichen.
Wenn sie das Gute als Gutes erkennt,
So nur auf dem Hintergrund des Bösen.

Gleichermaßen:
Sein und Nichtsein erzeugen einander.
Schwierig und leicht ergänzen einander.
Lang und kurz spiegeln einander.
Hoch und niedrig umarmen einander.
Klang und Ton bestimmen einander.
Vergangenes und Künftiges folgen einander.

Demgemäß auch die reifen Menschen:
Sie behaupten ihre Stellung ohne Mühe.
Verwirklichen ihre Lehre ohne Worte.
Sind ein Teil von allen Dingen und übersehen keines.
Sie erzeugen, aber besitzen nicht.
Sie handeln ohne Erwartung.
Sie vollbringen ohne Anspruch auf Verdienst.

Fürwahr, weil sie kein Verdienst beanspruchen, wächst es ihnen zu.

3 Den Frieden wahren


Erhöht nicht die besonders Begabten.
Und die Menschen werden nicht streiten.
Schätzt nicht schwer erschwingliche Güter.
Und die Menschen werden nicht zu Dieben.
Richtet das Augenmerk nicht aufs Begehren.
Und das Menschenherz bleibt unbetört.

Demgemäß führen reife Menschen die andern:
Sie öffnen ihnen das Herz.
Sie festigen ihnen die Mitte.
Sie mildern ihr Begehren.
Sie stärken ihren Charakter.

Lasst die Menschen stets ohne List und Begehren handeln;
Lasst die Schlauköpfe am Handeln verzagen.
Handelt, ohne zu handelt,
Und nichts bleibt ungeordnet.

4 Das Wesen des Tao


Das Tao ist leer und doch nutzbar:
Niemals füllt es sich an.
So unergründlich!
Es gemahnt an den Ursprung aller Dinge.

Es stumpft die Schärfe ab,
Entwirrt die Verschlingung,
Und mildert die Helligkeit.
Es geht auf den Wegen der Welt.

So tief!
Es gemahnt an ein bestimmtes Sein.
Ich weiß nicht, wessen Spross es ist,
Dies Bildnis im Vorfeld des Ursprungs.

5 Sich an die Mitte halten


Himmel und Erde sind unparteiisch;
Strohunde sind für sie alle Dinge.
Reife Menschen sind unparteiisch;
Strohunde sind für sie alle Menschen.

Zwischen Himmel und Erde
Gleicht der Raum einem Blasebalg.
Seine Gestalt ändert sich,
Aber nicht sein Bau.
Je mehr er sich bewegt,
Desto mehr bringt er hervor.

Zuviel Reden verausgabt sich selbst.
Gesammelt zu bleiben ist besser.

6 Das Verborgene erfassen


Unsterblich ist das Geheimnis des Tals:
Als das Verborgen-Weibliche ist es bekannt.
Das Eingangstor des Verborgen-Weiblichen
Ist der Quellgrund von Himmel und Erde.

Ewig und endlos tritt es in Erscheinung.
Seine Nutzbarkeit kommt ohne Mühe.

7 Die Kraft der Selbstlosigkeit


Der Himmel ist ewig, die Erde immerwährend.
Ewig und immerwährend können sie sein,
Weil sie nicht um ihrer selbst willen sind und wirken.
Aus diesem Grund können sie ewig sein und wirken.

Daher setzen reife Menschen
Ihr Selbst an die letzte Stelle.
Und stehen doch an erster Stelle.
Stellen ihr Selbst an die Seite,
Und bleiben doch in der Mitte.

Ohne Selbst-Zweck sind sie:
Siegen ihre Zwecke nicht aus diesem Grund?

8 Friedliche Werte


Der höchste Wert gleicht dem Wasser.
Der Wert des Wassers bringt allen Dingen Nutzen.
Und doch geschieht dies ohne Wettstreit.
Es verharrt an Orten, die andere verachten,
Und ist daher dem Tao nah verwandt.

Der Wert einer Behausung zeigt sich an der Wahl des Platzes.
Der Wert eines Gemüts zeigt sich an der Tiefe.
Der Wert menschlichen Umgangs zeigt sich an der Wohlgesinntheit.
Der Wert von Worten zeigt sich an der Aufrichtigkeit.
Der Wert der Führung zeigt sich an der Ordnung.
Der Wert des Schaffens zeigt sich an der Tüchtigkeit.
Der Wert des Tätigwerdens zeigt sich an der Rechtzeitigkeit.

Fürwahr, weil dies ohne Wettstreit geschieht,
Kommt auch kein Unmut auf.

9 Den Niedergang überwinden


Nicht festhalten an der Fülle:
Besser loslassen beizeiten.

Schärfe, die übergründlich eindringt,
Kann nicht lange schützen.

Ein mit Schätzen angefülltes Haus
Kann nicht verteidigt werden.

Stolz auf Wohlstand und Ansehen
Ist Blendwerk vor dem eignen Zusammenbruch.

Sich zurückziehen nach vollbrachter Leistung
Ist das Tao in der Natur.

10 Innere Harmonie


Wenn du deine Seelenkräfte bändigst und das Eine umfängst,
Kannst du unzerteilt bleiben?
Wenn du energisch deinen Einfluss einsetzt,
Kannst du dich biegen und fügen wie ein Neugeborenes?
Wenn du deine Einsicht läuterst,
Kannst du von Irrtum frei werden?
Wenn du die Menschen liebst und die Organisation lenkst,
Kannst du des Handelns dich enthalten?
Wenn du das Tor zur Natur öffnest und schließt,
Kannst du nicht erschlaffen?
Wenn du ringsum alles klar siehst und verstehst,
Kannst du ohne Wissen sein?

Bring Dinge hervor, lass Dinge gedeihen;
Bringe hervor, aber nimm nicht in Besitz.
Handle ohne Erwartung.
Steige im Rang, ohne zu beherrschen.
Dies nennt man die verborgenen Kräfte.

11 Nutzen, was nicht ist


Dreißig Speichen laufen in einer Nabe zusammen;
Was nicht da ist, macht das Rad brauchbar.
Ton wird geformt und gehöhlt zum Topf;
Was nicht da ist, macht den Topf brauchbar.
Fenster und Türen bricht man heraus beim Bau eines Zimmers;
Was nicht da ist, macht das Zimmer brauchbar.

Zieh also deinen Vorteil aus dem, was ist,
Indem du Gebrauch machst, von dem, was nicht ist.

12 Die Sinne unter Kontrolle halten


Die fünf Farben blenden das Auge.
Die fünf Töne betäuben das Ohr.
Die fünf Würzen stumpfen den Gaumen ab.

Rennen und Jagen verstören das Herz.
Schwer erschwingliche Güter blockieren den Weg.

Darum tragen reife Menschen
Sorge für das Zentrum und nicht fürs Auge.
Sie verwerfen das eine und empfangen das andre.

13 Das Selbst erweitern


Gunst wie Ungunst bergen Schrecken.
Ansehn und Angst werden dem Selbst gleich gesetzt.

Was besagt "Gunst wie Ungunst bergen Schrecken"?
Gunst erhöht; Ungunst erniedrigt.
Sie erlangen bringt Schrecken.
Sie verlieren bringt Schrecken.
Das besagt "Gunst wie Ungunst bergen Schrecken".

Was besagt "Ansehn und Angst werden dem Selbst gleich gesetzt"?
Die Quelle unserer Angst
Ist unser Selbst.
Wenn wir selbstlos sind,
Wovor sich dann ängstigen?

Demnach: Wer die Welt als sein Selbst erachtet,
Der wird sich der Welt widmen.
Wer die Welt als sein Selbst liebt,
Dem wird man die Welt anvertrauen.

14 Der Inbegriff des Tao


Danach geschaut doch nicht erblickt:
Es heißt gestaltlos.
Darauf gehorcht, doch nicht erlauscht:
Es heißt geräuschlos.
Danach gefasst, doch nicht erlangt:
Es heißt ungreifbar.

Diese drei kann der Verstand nicht scheiden.
So mischen sie sich und wirken als Eines.

Sein Aufgang ist nicht hell,
Sein Untergang nicht dunkel.
Endlos strömt das Namenlose dahin,
Und kehrt ins Nichts zurück.

Darum nennt man es
Die Form des Formlosen.
Das Abbild des Wesenlosen.
Darum nennt man es schemenhaft, entgleitend.
Wer ihm gegenübersteht, sieht nicht seinen Anfang.
Wer ihm nachfolgt, sieht nicht sein Ende.

Halte fest am uralten Tao:
Beherrsche und lenke die Dinge das Tags.
Sei dir des uralten Quellgrunds bewusst:
Dies nennt man den Inbegriff des Tao.

15 Die Kraft im subtilen Wirken


Die im uralten Tao wahrhaft Bewanderten: Subtil ihr durchdringender Geist, unergründlich ihre Intuition. So tief sind jene, dass sie unerkennbar bleiben. Da sie unerkennbar bleiben, Kann ihr Wirken mild im Zaum sich halten. So behutsam! Als durchwateten sie einen Fluss im Winter. So zaudernd! Als nähmen sie Rücksicht auf alle Glieder des Gemeinwesens. So zurückhaltend! Als handelten sie wie ein Gast. So nachgiebig! Als wären sie Eis, das gleich zerschmilzt. So freimütig! Als handelten sie mit unverbildeter Schlichtheit. So aufgeschlossen! Als wären sie wie ein Tal. So undurchdringlich! Als wären sie wie schlammgetrübtes Wasser. Wer kann harmonisch aufgehn in schlammgetrübtem Wasser Und Schritt für Schritt zur Klarheit vordringen? Wer kann mit ruhiger Festigkeit sich regen Und Schritt für Schritt dem Leben Dauer bringen? Jene, die das Tao bewahren, Begehren Fülle nicht für sich. Freilich, weil ihnen Fülle mangelt, Können sie ausgeschöpft und erneuert werden zugleich.

16 Das Absolute kennen


Erreiche das höchste Offensein, Bewahre den tiefsten Einklang. Werde Teil von allen Dingen: Auf diese Weise schau' ich die Zyklen. Fürwahr, mannigfach sind die Dinge; Aber jeder Zyklus geht ein in den Ursprung. Ursprungs-Eingang heißt vollendeter Einklang; Als Zyklus der Bestimmung ist er bekannt. Der Zyklus der Bestimmung heißt das Absolute; Das Absolute kennen heißt Einsicht. Das Absolute nicht kennen Bedeutet, leichtfertig Teil des Unglücks zu werden. Das Absolute kennen bedeutet, duldsam zu sein. Was duldsam ist, wird unparteiisch; Was unparteiisch ist, wird krafterfüllt; Was krafterfüllt ist, wird naturgemäß; Was naturgemäß ist, wird eins mit dem Tao. Was Tao hat, wird ewigwährend. Bleibt unversehrt durchs ganze Leben.

17 Der Weg subtiler Einflussnahme


Von überragenden Führern weiß man kaum, dass sie da sind; Drunter stehen jene, die man liebt und verehrt; Drunter jene, die man fürchtet; Und drunter jene, die man verlacht. Wem es an Glauben mangelt, Dem wird man auch keinen Glauben schenken. Aber kommt von fern das Geheiß, Und ist dann die Tat vollbracht, das Ziel erreicht, Dann sagen die Untergebenen: "Wir haben es naturgemäß getan."

18 Verlust der Instinkte


Gerät das große Tao in Vergessenheit, Zeigen sich Wohltätigkeit und Moral. Greift kluges Planen um sich, Taucht auch große Heuchelei auf. Zerbricht die Eintracht der Familie, Zeigen sich Ehrfurcht und Kindespflicht. Wird die Nation vom Chaos zerrüttet, Tauchen treue Patrioten auf.

19 Rückkehr zur Einfachheit


Gebt das Geheiligte auf, verwerft kluges Planen; Die Menschen werden hundertfach gewinnen. Gebt die Wohltätigkeit auf, verwerft die Moral; Die Menschen werden die naturgemäße Liebe wiederfinden. Gebt die Gewitztheit auf, verwerft die Erwerbssucht; Keine Diebe wird es mehr geben. Ist dieser dreifache Rat jedoch unzulänglich, So bleibt folgenden Grundsätzen treu: Die Reinheit erfassen; Die Einfachheit sich zu eigen machen; Den Eigennutz verringern; Die Wünsche einschränken.

20 Unabhängigkeit entfalten


Verwirf die graue Theorie; befrei dich von Ängsten. Was unterscheidet denn Zustimmung von Kriecherei? Was unterscheidet denn Gut von Böse? Dass einer ehren soll, was andre ehren - wie unsinnig und unbedacht! Das kollektive Bewusstsein gebärdet sich überschwenglich, Als nähm' es ein großes Opfer entgegen, Als erklömm' es einen lebenden Aussichtsturm. Ich nur bleib' abseits, ungeteilt, Wie ein Säugling, der noch nicht lächelt. Ungebunden, heimatlos abgetrennt. Das kollektive Bewusstsein ist allumfassend. Ich nur scheine vergessen zu sein. Bis ins Innerste unwissend bin ich und nebelhaft unklar. Gewöhnliche Menschen sind hell und eindeutig; Ich nur bin dunkel und verworren. Gewöhnliche Menschen sind fordernd und schlau; Ich nur bin schwerfällig und einfältig. Unterschiedslos wie das Meer, Unaufhörlich wie ein durchdringender Wind, Ist das kollektive Bewusstsein immer zugegen. Ich nur bleib' störrisch unbeugsam, halte mich fern. Ich nur unterscheide mich von den andern: Ich liebe die Kost, die von der Mutter kommt.

21 Den kollektiven Ursprung kennen


Der naturgemäße Ausdruck der Kraft Kommt nur durch das Tao zustande. Das Tao wirkt durch das Naturgesetz; So gestaltlos, so ungreifbar. Ungreifbar, gestaltlos! In seinem Zentrum zeigt sich das Abbild. Gestaltlos, ungreifbar! In seinem Zentrum zeigt sich das Naturgesetz. Trübverworren, geheimnisvoll! In seinem Zentrum zeigt sich die Lebenskraft. Die Lebenskraft ist überaus wirklich; In ihrem Zentrum zeigt sich die Wahrheit. Von ältesten Zeiten bis zur Gegenwart Bleibt ihr Name immer gleich: Durch das Erleben des kollektiven Ursprungs. Woher weiß ich vom Walten des kollektiven Ursprungs? Eben durch dies.

22 Dem Grundmuster folgen


Was halb ist, wird ganz; Was krumm ist, wird gerade. Was tief ist, wird gefüllt; Was verbraucht ist, wird erneuert. Was gering ist, mehrt sich; Was zuviel ist, bringt Verwirrung. Reife Menschen halten sich an das Tao Und betrachten die Welt als ihr Vorbild. Sie stellen sich nicht zur Schau; Deshalb werden sie ins Licht gerückt. Sie behaupten ihr Selbst nicht; Deshalb werden sie ausgezeichnet. Sie machen keinen Anspruch geltend; Deshalb machen sie sich verdient. Sie rühmen sich nicht; Deshalb steigen sie im Rang. Fürwahr, weil sie mit niemandem sich messen, Kann die Welt sich mit ihnen nicht messen. Jene uralten Worte: "Was halb ist, wird ganz" - Sind es leere Worte? Um ganz zu werden, Kehr dich nach innen.

23 Die stetige Wirkkraft der Haltung


Selten spricht die Natur. So dauert der Wirbelsturm keinen ganzen Morgen, Und der jähe Sturzregen dauert keinen ganzen Tag. Wer verursacht diese? Himmel und Erde. Wenn Himmel und Erde ihnen keine große Dauer verleihen können, Wieviel weniger können dies dann die Menschen? Folglich: Wer dem Tao sich widmet, Wird eins mit dem Tao. Wer der Kraft sich widmet, Wird eins mit der Kraft. Wer dem Versäumnis sich widmet, Wird eins mit dem Versäumnis. Wer eins wird mit dem Tao, Den umfängt seinerseits willig das Tao. Wer eins wird mit der Kraft, Den umfängt ihrerseits willig die Kraft. Wer eins wird mit dem Versäumnis, Den umfängt seinerseits willig das Versäumnis. Wem es an Glauben mangelt, Dem wird man auch keinen Glauben schenken.

24 Gefährdung durch Übermass


Wer auf Zehenspitzen steht, kann nicht sicher stehen. Wer gespreizte Schritte macht, kann nicht vorankommen. Wer sich zur Schau stellt, kann nicht ins Licht rücken. Wer sein Selbst behauptet, kann sich keinen Namen machen. Wer Ansprüche erhebt, kann sich kein Verdienst erwerben. Wer sich rühmt, kann im Rang nicht steigen. Wer ans Tao sich hält, Den mutet all dies wie Übermaß an im Essen und Handeln; Es ist für ihn unvereinbar mit dem Naturgesetz. Wer also erfüllt ist vom Tao, wendet sich fort.

25 Das Tao der Grösse


Es gibt etwas, das war im Zustand der Verschmelzung Noch vor des Himmels, der Erde Geburt. Schweigend, unermesslich, Eigenständig und unwandelbar; Unermüdlich, überall wirksam; Als Mutter der Welt darf es wohl gelten. Ich weiß seinen Namen nicht; Das Wort das ich wähle, ist Tao. Weil ich's den nennen muss, Nenn' ich es groß. Groß heißt ewig strömend. Ewig strömend heißt weit reichend. Weit reichend heißt wiederkehrend. Daher ist das Tao groß. Himmel und Erde sind groß. Ein Führer ist gleichermaßen groß. Im Universum gibt es vier Größen, Und Führerschaft ist eine davon. Menschenwesen sind der Erde nachgebildet. Die Erde ist dem Himmel nachgebildet. Der Himmel ist dem Tao nachgebildet. Das Tao ist der Natur nachgebildet.

26 Die Kraft des Schweren


Das Schwere ist das Fundament des Leichten. Die Stille ist der Herr der Unrast. So können reife Menschen den ganzen Tag lang reisen, Ohne ihr Gepäck liegenzulassen. Wie fesselnd auch die Aussicht sein mag, Sie bleiben ruhig und ungebunden. Wie können Führer mit zehntausend Wagen Unbeschwert ihren Rang behaupten in der Welt? Sind sie unbeschwert, verlieren sie ihr Fundament. Sind sie voll Unrast, verlieren sie ihre Herrschaft.

27 Der geschickte Austausch von Informationen


Ein guter Pfad hat keine Spuren. Eine gute Rede hat keine Schwachstellen. Eine gute Berechnung benutzt keine Schablonen. Ein gutes Schloss hat weder Sperre noch Riegel, Und doch kann niemand es aufschließen. Ein guter Knoten engt nicht ein, Und doch kann niemand ihn lösen. So sind reife Menschen immer gute Bewahrer der andern; Folglich wird keiner vergeudet. Sie sind immer gute Bewahrer der Dinge; Folglich wird keines vergeudet. Das wird Verdoppeln des Lichtes genannt. Deshalb ist ein Guter der Lehrer des Schlechten; Und ein Schlechter ist der Stoff für den Guten. Wer den Lehrer nicht hochhält oder den Stoff nicht schätzt, Geht, mag er auch klug sein, grob in die Irre. Das wird der wesentliche Sinn genannt.

28 Die Wirkkräfte einen


Kenne das Männliche, Wahre das Weibliche; Werde zum Strom der Welt. Bist du der Strom der Welt, Entflieht die Kraft niemals. Rückkehr zum Kindsein ist dies. Kenne das Helle, Wahre das Dunkle; Werde zum Leitbild der Welt. Wirst du zum Leitbild der Welt, Schwindet die Kraft niemals. Rückkehr zum Unbegrenzten ist dies. Kenne den Ruhm, Wahre die Verborgenheit; Werde zum Tal der Welt. Bist du das Tal der Welt, Hat die Kraft ihr genaues Mass. Rückkehr zur Einfachheit ist dies. Wenn das Einfache zerlegt wird, Macht man Werkzeuge daraus. Reife Menschen, die sie gebrauchen, Macht man zu Führern. Auf diese Weise wird das große System vereinigt.

29 Der Weg der Nichteinmischung


Wer die Welt an sich reißen und auf sie einwirken will, Kommt, wie ich sehe, niemals ans Ziel. Die Welt ist ein geheimnisvolles Werkzeug, Zur Handhabe nicht geschaffen. Wer auf sie einwirkt, zerstört sie. Wer sie ergreift, verliert sie. So entspricht' s dem Naturgesetz: Manche führen, manche folgen; Manche verschaffen sich Gehör, manche verhalten sich still; Manche sind stark, manche sind schwach; Manche machen weiter, manche verlieren den Mut. Reife Menschen meiden demnach Das Extreme, Das Verstiegene, Das Übermaß.

30 Den Führer führen


Wer das Tao anwendet, um die Führer zu leiten, Gebraucht keine gewaltsamen Strategien gegenüber der Welt. Dergleichen schlüge nur auf ihn zurück. Wo Armeen standen Sprießt das Dorngestrüpp. Großem Kriegsvolk folgen immer Hungerjahre. Wer seine Sache versteht, Lässt im Sieg ab vom Sieg. Er wagt nicht, auszuharren bei der Gewalt. Er siegt und rühmt sich nicht. Er siegt und macht keinen Anspruch geltend. Er siegt und ist nicht stolz darauf. Er siegt und gewinnt nicht im Übermaß. Er siegt und erzwingt nicht. Zu groß Gewordenes fällt stets dem Niedergang anheim. Das ist nicht das Tao. Was nicht das Tao ist, stirbt früh.

31 Die Anwendung der Gewalt


Die vorzüglichsten Waffen können Werkzeuge des Verhängnisses sein Und so im Widerspruch stehn zum Naturgesetz. Wer vom Tao erfüllt ist, kehrt sich ab davon. Reife Führer bevorzugen die Linke und halten sie in Ehren; Wer Waffen gebraucht, hält die Rechte in Ehren. Waffen sind Werkzeuge des Verhängnisses, Die von den Unreifen gebraucht werden. Ist ihr Gebrauch denn unvermeidlich, So handeln die Erhabenen mit ruhiger Zurückhaltung. Lass selbst im Sieg keine Freude aufkommen, Denn solche Freude führt zum Sichabfinden mit dem Gemetzel. Wer sich abfindet mit dem Gemetzel, Kann in der Welt Erfüllung nicht finden.

32 Die Grenzen der Spezialisierung


Das Tao des Absoluten hat keinen Namen. Obgleich verschwindend klein in seiner Einfachheit, Kann die Welt es doch nicht meistern. Wenn Führer daran festhielten, Folgten naturgemäß alle Dinge nach. Himmel und Erde vermählten sich, um süßen Tau zu regnen, Und ohne Geheiß wirkten die Menschen naturgemäß zusammen. Namen tauchen auf, wenn Institutionen beginnen. Wenn Namen auftauchen, so wisset einzuhalten. Den Zeitpunkt des Einhaltens zu wissen, heißt frei sein von Gefahr. Die Gegenwart des Tao in der Welt Ist wie das Wasser des Tals, das Flüsse und Meere verbindet.

33 Sich selbst bezwingen


Wer andere kennt, ist klug; Wer sich selber kennt, hat Einsicht. Wer andere bezwingt, hat Gewalt; Wer sich selbst bezwingt, hat Stärke. Wer weiß was genug ist, ist reich. Wer unbeirrbar ist, hat die Richtung. Wer seinen Platz behauptet hat Bestand. Und wer stirbt und doch nicht vergeht, der lebt.

34 Das sich entfaltende Tao


Das Grosse Tao erstreckt sich überallhin. Zur Linken ist es und zur Rechten. Alle Dinge hängen in ihrem Gedeihen von ihm ab, Und es verweigert ihnen nichts. Es vollbringt seinen Zweck, Und es hat keinen Namen. Es kleidet und befördert alle Dinge, Und es tritt nicht auf als ihr Herr. Immer ohne Begehren: Gering mag man's darum nennen. Alle Dinge verschmelzen mit ihm, Und es tritt nicht auf als ihr Herr. Groß mag man es nennen. Schließlich sucht es nicht Größe: Dergestalt wird das Grosse vollbracht.

35 Das Nichtwahrnehmbare gewahren


Halte fest am großen Bild, Und die ganze Welt stellt sich ein. Stellt sich ein und bringt doch kein Leid, Nur Frieden und Ordnung. Wird Musik samt gutem Essen dargeboten, Dann verweilen die Gäste. Wird jedoch dem Tao Ausdruck verliehen, Scheint es ohne Gehalt, ohne Würze. Wir halten Ausschau, und nichts ist zu sehen. Wir lauschen und nichts ist zu vernehmen. Wir machen Gebrauch davon, und es erschöpft sich nie.

36 Die Überlegenheit verbergen


Will man es schmälern, Muss man es gründlich erweitern. Will man es schwächen, Muss man es gründlich stärken. Will man es verwerfen, Muss man es gründlich fördern. Will man es mindern, Muss man es gründlich mehren. Dies nennt man subtile Einsicht. Das Nachgiebige kann das Starre besiegen; Das Schwache kann das Starke besiegen. Fische soll man nicht dem tiefen Wasser entnehmen; Organisationen sollen ihre Überlegenheit nicht zeigen.

37 Die Kraft in der Wunschlosigkeit


Das Tao ist ganz ohne Tun Und ist doch niemals tatenlos. Vermögen Führer, an ihm festzuhalten, Werden alle Dinge naturgemäß beeinflusst. Sie wären beeinflusst, doch noch des Tuns begierig - So stillt' ich sie mit namenloser Einfachheit. Namenlose Einfachheit ist ohne Begehren; Und ohne Begehren herrscht Einklang. Die Welt kommt dann auf natürliche Weise ins Lot.

38 Absichtslose Kraft


Überragende Kraft ist niemals mächtig, drum hat sie Macht. Mindere Kraft ist immer mächtig, drum hat sie keine Macht. Überragende Kraft wird nicht tätig, und was sie tut, geschieht absichtslos. Mindere Kraft wird tätig, und was sie tut, geschieht mit Absicht. Überragende Wohltätigkeit wird tätig, und was sie tut geschieht absichtslos. Überragende Moral wird tätig, und was sie tut, geschieht mit Absicht. Überragender Anstand wird tätig, und findet er keinen Widerhall, So hebt er den Arm und zwingt sich den Dingen auf. Daher: Verliere das Tao, und die Kraft tritt an seine Stelle. Verliere die Kraft, und Wohltätigkeit tritt an ihre Stelle. Verliere die Wohltätigkeit, und die Moral tritt an ihre Stelle. Verliere die Moral, und der Anstand tritt an ihre Stelle. Hat einer Anstand, so hat er die Tünche der Wahrheit, Und führt doch nur in die Verwirrung. Kennt einer die Zukunft, so hat er den Schimmer des Tao, Und weiß doch von seinen Ursprüngen gar nichts. Daher: Wer die größte Ausdauer hat, Kann ins Wesentliche vordringen, Ohne bei seiner Tünche sich aufzuhalten; Kann ins Wirkliche vordringen, Ohne bei seinem Schimmer sich aufzuhalten. Folglich verwirft er das eine und nimmt das andre an.

39 Einssein in der Führung


Von alters her können diese im Einklang sein mit dem Einen: Der Himmel im Einklang mit dem Einen wird klar. Die Erde im Einklang mit dem Einen wird fest. Der Geist im Einklang mit dem Einen wird erleuchtet. Die Täler im Einklang mit dem Einen werden voll. Alle Dinge im Einklang mit dem Einen werden schöpferisch. Die Führer im Einklang mit dem Einen werden unbestechlich in der Welt. Dies wurde kraft des Einsseins erlangt. Der Himmel ohne Klarheit würde wohl bersten. Die Erde ohne Festigkeit würde wohl beben. Der Geist ohne Erleuchtung würde wohl schlummern. Die Täler ohne Fülle würden wohl verdorren. Alle Dinge ohne das Schöpferische würden wohl hinsterben. Führer ohne Unbestechlichkeit würden wohl straucheln und fallen. Fürwahr, die Hochgestellten stammen von den Niederen; Die Erhabenen fußen auf den Gemeinen. Darum auch nennen die Führer sich selbst Einsam, verwaist und unwürdig. Tun sie's nicht, weil sie von den Niederen und Gemeinen stammen? Warum sonst? Darum erlangt Ehre, ohne geehrt zu werden. Begehrt nicht, zu gleißen wie Jade; den Schmuck tragt, als wäre er Stein.

40 Der Weg


Polarität ist die Bewegung des Tao. Empfänglichkeit ist die Art, es zu gebrauchen. Die Welt und alle Dinge gingen hervor aus seinem Sein. Sein Sein ging hervor aus dem Nichtsein.

41 Das Paradoxe meistern


Wenn überragende Führer vom Tao hören, Versuchen sie, es gewissenhaft auszuüben. Wenn durchschnittliche Führer vom Tao hören, Scheinen sie sich seiner bewusst und auch nicht bewusst zu sein. Wenn mindere Führer vom Tao hören, Brüllen sie vor lachen. Ohne ausreichendes Gelächter könnt' es das Tao nicht sein; Drum auch die althergebrachten Worte: Das erleuchtete Tao scheint verdunkelt zu sein; Das voranschreitende Tao scheint zurückzuweichen; Das geebnete Tao scheint holprig zu sein. Überragende Kraft scheint niedrig zu sein; Grosse Klarheit scheint befleckt zu sein; Beträchtliche Kraft scheint unzureichend zu sein; Festgegründete Kraft scheint erschlichen zu sein; Wahre Kraft scheint gefälscht zu sein. Das größte Geviert hat keine Ecken; Die größten Talente werden langsam gemeistert; Die größte Musik hat den leisesten Klang; Das große Bildnis hat keine Gestalt. Das Tao ist verborgen und namenlos, Doch ist es das Tao, das kunstvoll alles erhält und vollendet.

42 Die Polarität kennen


Das Tao erzeugte die Eins. Die Eins erzeugte die Zwei. Die Zwei erzeugte die Drei. Die Drei erzeugte alle Dinge. Alle Dinge tragen das Yin und halten sich an das Yang. Deren harmonisch gemischter Einfluss bringt Einklang. Verhasst ist den Menschen, einsam, verwaist, unwürdig zu sein. Und dennoch zeichnen Führer mit diesen Namen. So verhält es sich nach dem Gesetz der Natur: Manche gewinnen, indem sie verlieren. Manche verlieren, indem sie gewinnen. Was andre schon lehrten, lehre auch ich: Der Gewalttätige stirbt keines natürlichen Todes. Dies mach' ich zum Angelpunkt meiner Lehre.

43 Subtile Kräfte


Die biegsamsten Teil der Welt Überwinden die starrsten Teile der Welt. Das Hauchzarte kann unaufhörlich eindringen. Deshalb weiß ich, Nutzen erwächst ohne Handeln. Diese Philosophie ohne Worte, Dieser Nutzen ohne Handeln - Selten, dass man sie in dieser Welt erlangt.

44 Die Kraft in der Genügsamkeit


Was ist teurer, Name oder Leben? Was gilt mehr, Leben oder Reichtum? Was ist schlimmer, Gewinn oder Verlust? Je heftiger die Neigungen, Um so größer der Aufwand. Je umfangreicher das Gehortete, Um so schwerer der Verlust. Wisse, was genug ist; Sei ohne Schande. Wisse, wann innezuhalten ist; Sei ohne Bedrohung. Dergestalt währt man sehr lange Zeit.

45 Die Leere nutzen


Ist die größte Leistung unvollständig, Dann ist ihre Brauchbarkeit ungemindert. Ist die größte Fülle leer, Dann ist ihre Brauchbarkeit unausschöpflich. Die größte Gradlinigkeit ist biegsam. Die größte Geschicklichkeit ist unbeholfen. Die größte Beredsamkeit ist stockend. Bewegung überwindet das Kalte. Stille überwindet das Erhitzte. Klarheit und Stille bringen Ordnung in die Welt.

46 Wissen, was genug ist


Wenn die Welt vom Tao erfüllt ist, Hält man selbst Rennpferde zur Dungerzeugung. Wenn die Welt ohne das Tao ist, Züchtet man Kriegsrosse in den Vorstädten. Kein größeres Verhängnis, Als nicht zu wissen, was genug ist. Kein größerer Fehler, Als nach Gewinn zu gieren. Wisset daher, dass genug genug ist. Und genug wird's immer geben.

47 Das innere Wissen ausbilden


Ohne aus dem Haus zu gehn, Wisse die Welt. Ohne aus dem Fenster zu schaun, Sieh das Tao in der Natur. Sehr weit mag einer herumkommen Und sehr wenig wissen. Also die reifen Menschen - Wissen, ohne umherzugehn, Erkennen, ohne hinzusehen, Vollbringen, ohne zu handeln.

48 Die Kunst des Nichthandelns


Ist Gelehrsamkeit dein Ziel, so mehre sie täglich. Ist das Tao dein Ziel, so mindere es täglich. Mindere Schritt für Schritt, Bis du anlangst beim Nichthandeln. Durch Nichthandeln bleibt nichts ungetan. Mühelos nur hält man die Welt. Sobald Mühe hinzukommt, Entgleitet unhaltbar die Welt.

49 Das Bewußtsein öffnen


Reife Menschen haben kein festgelegtes Bewusstsein; Sie machen das Bewusstsein aller Menschen zu ihrem Bewusstsein. Zu den Guten bin ich gut; Zu den Unguten bin auch gut. Güte ist Macht. Die Vertrauensvollen haben mein Vertrauen; Die Vertrauenslosen haben auch mein Vertrauen. Vertrauen ist Macht. Die reifen Menschen dieser Welt Nehmen die Welt für sich ein und verschmelzen mit ihr. Alle Menschen bemühen Augen und Ohren; Die Reifen handeln wie kleine Kinder.

50 Die Kunst des Überlebens


Wie das Leben hinausgeht, so tritt der Tod herein. Das Leben hat dreizehn Pfade; Der Tod hat dreizehn Pfade. Das Menschenleben langt im Bezirk des Todes Gleichfalls in dreizehn Schritten an. Warum ist das so? Weil das Leben verschwenderisch gelebt wird. Nun aber kann, und das ist wohlbekannt, Wer das Leben für sich einzunehmen weiß, Das Land durchreisen, Ohne einem Einhorn oder Tiger zu begegnen. Beim Zusammenstoss mit den Soldaten Ist seine Verteidigung unangreifbar. Dem Einhorn bleibt keine Stelle, sein Horn hineinzustoßen. Dem Tiger bleibt keine Stelle, seine Klaue festzukrallen. Den Soldaten bleibt keine Stelle, ihre Klinge einzuzwängen. Warum ist das so? Weil er ohne den Bezirk des Todes ist.

51 Die Kraft teilnahmsloser Förderung


Das Tao erzeugt; Seine Kraft erhält; Sein Naturgesetz formt; Sein Einfluss vollendet. Ausnahmslos alle Dinge also Achten das Tao und schätzen seine Kraft. Das Tao zu achten und seine Kraft zu schätzen - Niemand verlangt dies, und es geschieht wie von selbst. Daher erzeugt das Tao, und seine Kraft erhält; Sie fördert, bildet, erquickt, reift, nährt und beschützt. Erzeuge, aber nimm nicht in Besitz. Handle ohne Erwartung. Fördere, ohne zu beherrschen. Dies nennt man die subtilen Kräfte.

52 Rückkehr zur Einsicht


Den Anfang der Welt Mag man betrachten als die Mutter der Welt. Um die Mutter zu begreifen, Kenne die Kinder. Die Kinder zu kennen Heißt, nahe bei der Mutter zu bleiben Und frei von Leid durchs ganze Leben zu gehen. Schließe die Sinnespforten, Versperr dich dem Draußen: Am Ende ist das Leben eitel. Öffne die Sinnespforten, Sei ständig geschäftig: Am Ende ist das Leben verzweifelt. Das Geringe wahrnehmen heißt Einsicht. Fügsam bleiben heißt Stärke. Nutzt einer sein inneres Licht, Um so zurückzukehren zur Einsicht, Wird das Leben des Unglücks ledig. Dies nennt man Erlernen des Absoluten.

53 Der ungeteilte Pfad


Mit wenig Wissen nur Würde ich den großen Weg beschreiten Und nichts fürchten, als davon abzulassen. Der große Weg ist völlig eben; Doch die Menschen lieben die Nebenwege. Wenn eine Organisation uneinig ist, Sind die Felder überwuchert, Sind die Vorratslager leer, Sind die Kleider überprächtig, Trägt man scharfgeschliffne Schwerter, Sind Trank und Speise überreichlich, Werden Schätze und Besitz gehortet. Stehlen nennt man dies und Übertreibung Und gewisslich nicht den Weg!

54 Grundlegung einer universalen Sehweise


Fest Gegründetes wird nicht entwurzelt werden; Fest Ergriffenes wird nicht entgleiten. So wird es verehrt von Generationen. Gestalte und pflege das innere Selbst; Seine Kraft wird wirklich. Gestalte und pflege die Familie; Ihre Kraft wird überreich. Gestalte und pflege die Gemeinschaft; Ihre Kraft wird größer. Gestalte und pflege die Organisation; Ihre Kraft wird tausendfach fruchtbar. Gestalte und pflege die Welt; Ihre Kraft wird allumfassend. Daher: Durch das innere Selbst Wird das innere Selbst erfasst. Durch die Familie Wird die Familie erfasst. Durch die Organisation Wird die Organisation erfasst. Durch die Welt Wird die Welt erfasst. Woher kenne ich die Welt? Durch ebendies.

55 Die Kraft im Nichtstreiten


Tiefverwurzelte Kraft zu besitzen Heißt, wie ein neugeborenes Kind zu sein. Giftige Insekten stechen es nicht, Wilde Bestien reißen es nicht, Raubvögel schlagen es nicht. Seine Knochen sind biegsam, Seine Muskeln sind entspannt, Sein Zugriff ist fest. Es weiß noch nichts von der Liebe von Mann und Frau, Doch sein Geschlecht zeigt und erregt sich schon. Seine Lebenskraft hat größte Fülle. Den ganzen Tag kann es schreien Und wird doch nicht heiser davon. Sein Einklang hat größte Fülle. Den Einklang zu kennen heißt das Absolute. Das Absolute zu kennen heißt Einsicht. Das Leben zu steigern heißt Glück. Des Einflusses sich bewusst zu sein heißt Stärke. Übergroß gewordne Dinge müssen zugrunde gehn. Das ist nicht das Tao. Was nicht das Tao ist, wird frühzeitig enden.


56 Das Einssein erlangen


Die Wissenden reden nicht. Die Redenden wissen nicht. Schließe die Pforten. Verriegle das Tor. Stumpfe die Schärfe. Löse die Schlingen. Mildere den Glanz. Werd eins mit den Wegen der Welt. Tiefste Ineinssetzung wird dies genannt. Unerreichbar ist sie durch Zuneigung. Unerreichbar ist sie durch Abneigung. Unerreichbar ist sie durch Gewinn. Unerreichbar ist sie durch Schaden. Unerreichbar ist sie durch Achtung. Unerreichbar ist sie durch Mißachtetsein. Darum ist sie das Kostbarste der Welt.

57 Die Kraft in der Mühelosigkeit


Die Organisation leite mit Rechtschaffenheit. Den Krieg führe mit Überraschungstaktik. Die Welt erringe mit Mühelosigkeit. Woher weiß ich, dass das so ist? Dadurch: Zu viele Verbote auf der Welt, Und die Menschen werden untauglich. Zu viele scharfe Waffen unter den Menschen, Und die Verwirrung nimmt zu im Volk. Zuviel Raffinesse unter den Menschen, Und immer mehr befremdliche Dinge geschehen. Zu deutlicher Zuwachs an Gesetzen und Verordnungen, Und zu viele Verbrecher tauchen auf. Darum sagen reife Menschen: Achte auf das Nichthandeln, Und die Menschen sind alsbald naturgemäß beeinflusst. Achte auf die Gelassenheit und Stille, Und die Menschen sind alsbald naturgemäß rechtschaffen. Achte auf die Mühelosigkeit, Und die Menschen sind alsbald naturgemäß reich. Achte auf das Nichtbegehren, Und die Menschen sind alsbald naturgemäß einfach.

58 Die Mitte ausbilden


Bleibt die Verwaltung kaum spürbar, Sind die Menschen ohne Falsch. Stellt die Verwaltung hohe Anforderungen, Sind die Menschen unzulänglich. Unglück! Glück hält es am Leben. Glück! Unglück birgt sich darin. Wer weiß, wo das endet? Gibt es keine Ordnung? Ordnung kann sich ins Ungewöhnliche verkehren; Gutes kann sich ins Wunderliche verkehren; Und die Verwirrung der Menschen dauert wahrlich Eine lange, lange Zeit. Deshalb sind reife Menschen Unmissverständlich, ohne zu entzweien; Ehrlich, ohne zu verletzen; Geradeheraus, ohne zu überfordern; Hell, ohne zu blenden.

59 Der Weg der Mäßigung


Bei der Führung der Menschen und im Dienst der Natur Gibt es nichts Besseres als Mäßigung. Denn Mäßigung bedeutet ja frühes Sichfügen; Frühes Sichfügen bedeutet Speichern der Kraft. Wird die Kraft gespeichert, Ist nichts unmöglich. Ist nichts unmöglich, Kennt man keine Grenzen. Wer keine Grenzen kennt, Kann die Organisation besitzen. Besitzt eine Organisation die Mutter der Welt, Kann sie fortdauern und gedeihen. Dies bedeutet tiefe Wurzeln und tragfesten Baugrund: Dauer und ein langes Leben durch Beobachtung des Tao.

60 Die Position halten


Das Führen einer großen Organisation ist wie das Braten eines kleinen Fisches. Ist das Tao gegenwärtig in der Welt, Sind die Listenreichen nicht geheimnisvoll. Nicht nur, dass die Listenreichen nicht geheimnisvoll sind: Ihr Geheimnis schadet auch andren nicht. Nicht nur, dass ihr Geheimnis andren nicht schadet, Auch die reifen Menschen tun niemandem ein Leid an. Da sie beide keinen Schaden tun, Strömt die Kraft zurück und sammelt sich.

61 Die Kraft in der Bescheidenheit


Eine große Organisation sollte abwärts fließen, Um mit der Welt zusammenzukommen. Sie ist das Weibliche der Welt. Immer überwindet das Weibliche das Männliche durch Stillhalten; Durch Stillhalten hält es sich unten. Wenn also eine große Organisation Sich unter eine kleine stellt, Kann sie die kleine in sich aufnehmen. Und wenn eine kleine Organisation Sich unter eine große stellt, Kann sie die große in sich aufnehmen. Daher nimmt der eine auf durch Niedrigwerden; Der andere nimmt auf durch Niedrigsein. Doch eine große Organisation möchte Andere einen und stützen. Und eine kleine Organisation möchte Anderen sich anschließen und dienlich sein. Um demnach für beide den gewünschten Stand zu erringen, Soll die größere sich unten halten.

62 Das Tao in Führern


Das ist Zuflucht für alle Dinge, Ist Schatz den Guten Und Schutz den Nichtguten. Ehre lässt sich erkaufen mit glänzenden Worten; Andere lassen sich binden durch feines Auftreten. Wenn also manche nicht gut sind, Warum sie vergeuden? Nicht anders wird der Kaiser eingesetzt, Werden die drei Beamten bestallt. Und obwohl der großen Jadescheibe Ein Gespann Pferde vorausgeht, Ist dies nicht so gut, wie dazusitzen Und im Tao voranzukommen. Warum schätzen die Alten das Tao? Sagten sie nicht: Such es, und es wird dein; Sei behaftet mit Fehlern, und du wirst ihrer ledig? Darum ist es der Schatz der Welt.

63 Der Pfad des geringsten Widerstands


Handle, ohne zu tun; sei tätig ohne Mühe. Schmecke, ohne Geschmack zu finden. Mach groß das Kleine; vermehre das Wenige. Vergelte Böswilligkeit mit Wohlwollen. Plane das Schwierige, wenn es leicht ist; Handhabe das Grosse, wo es klein ist. Das schwerste Werk auf Erden beginnt, wenn es leicht ist; Die größte Mühe auf Erden beginnt, wo sie klein ist. Reife Menschen schließlich werden nie tätig im Grossen, Und solcherart wird das Grosse erreicht. Wer leicht verspricht, weckt wenig Vertrauen. Wie leicht, das Schwierige zu wecken! Deshalb gilt den Reifen alles als schwer; Und nichts fällt ihnen schwer am Ende!

64 Die Kraft im Anfang


In Ruhe Befindliches ist leicht zu halten; Noch nicht Begonnenes ist leicht zu planen. Dünnes ist leicht zu schmelzen; Winziges ist leicht zu zerstreuen. Befass dich mit Dingen, eh' sie sich zeigen; Bring sie in Ordnung, eh' Unordnung herrscht. Ein Baum von mehreren Spannen Umfang erwächst aus einem zarten Spross. Ein Turm von neun Stockwerken ersteht aus einem Haufen Erde. Eine Reise von tausend Meilen beginnt mit einem Schritt. Wer auf Dinge einwirkt, verdirbt sie; Wer Dinge ergreift, verliert sie. Also tun reife Menschen nichts; So verderben sie nichts. Sie ergreifen nichts; So verlieren sie nichts. Oft verderben Menschen ihr Werk an der Schwelle seiner Vollendung. Mit Sorgfalt am Ende wie auch am Anfang wird man kein Werk verderben. Also streben reife Menschen nach Wunschlosigkeit Und schätzen keine schwer erschwinglichen Güter. Sie lernen ohne Gelehrsamkeit Und kehren dorthin zurück, wo das kollektive Bewusstsein herkommt. Auf diese Weise unterstützen sie alle Dinge naturgemäß Ohne Wagnis des Handelns.

65 Gefährdung durch Klugheit


Die im alten Tao Bewanderten Fallen den Menschen nicht ins Auge. Einfachen Sinnes scheinen sie zu sein. Schwer zu führen sind die Menschen, Weil sie zu klug sind. Führt man folglich die Organisation mit Klugheit, Wird es der Organisation schaden. Führt man die Organisation ohne Klugheit, Wird es der Organisation nutzen. Wer um diese zwei Dinge weiß, Hat die Grundmuster des Absoluten erkundet. Die Grundmuster zu wissen und sie zu erkunden, Das nennt man die subtile Kraft. Die subtile Kraft ist tiefgreifend und weitreichend. Gemeinsam mit dem Naturgesetz der Polarität Führt sie zur großen Harmonie.

66 Die Kraft im Sich-Niedrig-Halten


Die Ströme und Meere führen die hundert Flüsse, Weil sie Meister sind im Sich-Niedrig-Halten. So können sie die hundert Flüsse führen. Deshalb: Um sich zu erheben über die Menschen, Muss man sich ausdrücklich niedriger halten als sie. Um den Menschen voranzugehen, Muss man sich hinter sie stellen. Deshalb bleiben reife Menschen oben, Und doch drückt nichts die andern zu Boden. Sie bleiben vorn, Und nichts hält die andern zurück. Deshalb erwählt sie willig die Welt Und lehnt sie nicht ab. weil sie sich mit niemandem messen, Kann die Welt sich mit ihnen nicht messen.

67 Die Kraft im Mitleid


Alle Welt hält mein Tao für groß; Und doch scheint es unbegreiflich. Nur seine Größe lässt es unbegreiflich scheinen. Könnte man sich einen Begriff davon machen, Wär' es längst schon bedeutungslos geworden. Drei Schätze hab' ich, die stützen und schützen: Der erste ist Mitleid. Der zweite ist Mäßigung. Der dritte ist der Mut, nicht der Erste auf Erden zu sein. Mit Mitleid wird man mutig; Mit Mäßigung wird man großzügig. Wenn man wagt, nicht der Erste auf Erden zu sein, Wird man zum Werkzeug der Führerschaft. Ist man nun mutig ohne Mitleid Oder großzügig ohne Mäßigung Oder der Erste, ohne sich zurückzuhalten, So ist man verloren! Mitleid siegt immer, wenn man es angreift; Sicherheit bringt es, wenn man es hochhält. Die Natur steht ihren Führern bei, Indem sie sie wappnet mit Mitleid.

68 Nichtaggressive Stärke


Ein guter Führer gebraucht nicht Gewalt. Ein guter Kämpfer empfindet nicht Zorn. Ein guter Gewinner lässt den Verlierer in Ruhe. Ein guter Dienstherr hält sich niedrig. Dies nennt man die Kraft im Nichtstreiten. Dies nennt man die Stärke im Umgang mit andern. Dies nennt man die höchste Nachahmung der Natur.

69 Die Eskalation aufhalten


Bei den Strategen heißt es: "Ich wage nicht, den Herrn zu spielen, Vielmehr trete ich auf als Gast. Ich wage nicht, einen Zoll vorzurücken, Vielmehr weiche ich einen Fuß zurück." Dies nennt man: Sich fortbewegen, ohne sich zu rühren, Sich zur Wehr setzen ohne Arme, Planen ohne Widerstand, Erobern ohne Strategien. Kein Verhängnis ist größer, als Widerstand zu unterschätzen; Widerstand unterschätzen zerstört meine Schätze. Drum, wenn einander widerstreitende Strategien eskalieren, Obsiegt die Seite, die Leid empfindet.

70 Das Tao verstehen


Meine Worte sind sehr leicht zu verstehen, Sehr leicht zu befolgen. Aber die Welt ist unfähig, sie zu verstehen, Unfähig, sie zu befolgen. Meine Worte haben einen Ursprung, Meine Taten sind meisterhaft. Freilich, da keiner dies versteht, Versteht auch keiner mich. Die wenigen, die mich verstehn, Müssen mich hochschätzen. Darum tragen reife Menschen Eine Hülle aus grobem Tuch Über einem Kern aus kostbarer Jade.

71 Die Krankheit erkennen


Zu wissen, dass man nichts weiß, ist das Beste. Vom Wissen nichts zu wissen, ist eine Krankheit. Wahrlich: Durch Leiden an der Krankheit Hält man sich frei von der Krankheit. Reife Menschen sind frei von der Krankheit, Weil sie leiden an der Krankheit. Nur so hält man sich frei von der Krankheit.

72 Die rechte Sicht der Dinge


Wenn die Menschen die Autorität nicht fürchten, Dann wird die Autorität wachsen. Behandle die Leute nicht mit Geringschätzung; Verwirf nicht ihr Leben. Wahrlich, weil man sie nicht verwirft, Verwerfen auch sie nicht. Deshalb kennen reife Menschen sich selbst, Aber stellen sich selbst nicht zur Schau. Sie lieben sich selbst, Aber hängen nicht an sich selbst. Also: Sie geben das eine auf und empfangen das andere.

73 Der Weg der Natur


Wer Mut hat zum Wagnis, wird sterben; Wer Mut hat zum Nicht-Wagnis, wird fortbestehen. Jeder der beiden mag nützen oder schaden. Die Natur entscheidet, welcher schlecht ist, Aber wer will wissen, warum? Selbst reife Menschen halten dies für schwierig. Das Tao in der Natur Streitet nicht Und siegt doch meisterlich. Spricht nicht Und antwortet doch meisterlich. Ruft nicht zu sich Und zieht doch an sich. Beeilt sich nicht Und gestaltet doch meisterlich. Das Netz der Natur ist endlos weit, so weit. Sein Maschenwerk ist grob, doch nichts schlüpft hindurch.

74 Unnatürliche Autorität


Wenn die Menschen den Tod nicht fürchten, Wie kann man sie mit dem Tode bedrohen? Gesetzt, die Menschen fürchten den Tod und fügen sich doch nicht, Wer wagte sie wohl zu ergreifen und zum Tod zu befördern? Immer gibt es den Henkersmeister, der tötet. Statt des Henkersmeister zu töten Heißt, statt des Zimmermeisters Holz zu behauen. Wer statt des Zimmermeisters das Holz behaut, Entgeht nur selten einer Verletzung der Hände.

75 Selbstzerstörerische Führung


Die Menschen hungern. Weil die Oberen zuviel an Steuern verzehren, Hungern die Menschen. Die Menschen sind schwer zu führen. Weil die Oberen störend auf sie einwirken, Sind die Menschen schwer zu führen. Die Menschen nehmen den Tod leicht. Weil die Oberen zu sehr auf ihren Fortbestand bedacht sind, Nehmen die Menschen den Tod leicht. Wahrlich, ebenjene, die nicht störend einwirken auf das Leben, Sind imstande, das Leben hochzuschätzen.

76 Die Kraft in der Anpassungsfähigkeit


Lebend ist der Mensch nachgiebig und empfänglich. Sterbend ist er starr und unbeugsam. Alle Dinge, das Gras und die Bäume: Lebend sind sie nachgiebig und zart; Sterbend sind sie trocken und verdorrt. Wer also hart und starr ist, Stimmt mit dem Sterben überein. Wer nachgiebig und empfänglich ist, Stimmt mit dem Leben überein. Daher wird eine starre Strategie nicht siegen; Ein starrer Baum wird gefällt. Der hochgradig Starre wird im Rang absinken; Der Nachgiebige und Empfängliche wird im Rang emporsteigen.

77 Die Kraft lenken


Das Tao in der Natur Gleicht einem Bogen, der gespannt wird. Das Obere wird heruntergezogen, Das Untere wird emporgehoben. Was übermäßig ist, wird verringert, Was ungenügend ist, wird ergänzt. Das Tao in der Natur Verringert das Übermäßige Und ergänzt das Ungenügende. Nicht so das Tao im Menschen: Er verringert das Ungenügende, Weil er dem Übermäßigen dient. Wer kann denn das Übermaß nutzen im Dienste der Welt? Der, der vom Tao erfüllt ist. Also die reifen Menschen: Sie handeln ohne Erwartung, Vollbringen ohne Anspruch auf Verdienst Und tragen kein Verlagen, ihre Vortrefflichkeit zu zeigen.

78 Die Schuld auf sich nehmen


Nichts auf der Welt Ist so nachgiebig und aufnahmebereit wie Wasser; Doch im Bekämpfen des Harten und Starren Trägt nichts so trefflich den Sieg davon. Dank dem, was es nicht ist, Gelingt ihm dies leicht. Das Aufnahmebereite siegt über das Harte; Das Nachgiebige siegt über das Starre. Keiner auf der Welt, der dies nicht weiß, Keiner, der fähig wäre, danach zu handeln. Deshalb sagen reife Menschen: Wer die Schande der Organisation auf sich nimmt, Kann "Herr des Kornschreins" genannt werden. Wer die Unglücksfälle der Organisation auf sich nimmt, Kann Führer der Welt genannt werden. Wahre Worte klingen sinnverkehrt.

79 Die Kraft im Nicht-Nutzen des Vorteils


Ist ein großer Groll auch beschwichtigt, Muss ein Rest von Groll doch übrigbleiben. Wie kann man den gutmachen? Aus diesem Grund halten reife Menschen Die linke Seite des Vertrags in Händen, Ohne andere zu verdammen. Den Mächtigen obliegt der Vertrag; Den Ohnmächtigen obliegt' s, ihn zu halten. Das Tao in der Natur bevorzugt keinen. Stets waltet und wirkt es durch den guten Menschen.

80 Die Unabhängigkeit vollenden


In einer kleinen Organisation mit wenig Menschen: Lasst zehn- oder hundertmal Mehr Werkzeuge verfügbar sein, als man gebrauchen kann. Lasst die Menschen ihr Leben hochhalten Und trotzdem nicht in die Ferne schweifen. Zwar sind Boote und Wagen verfügbar, Doch gibt es für ihren Gebrauch keinen Anlass. Lasst die Menschen wieder Schnüre knoten und sie gebrauchen. Ihre Speise wird schmackhaft sein. Ihre Kleidung wird fein sein. Ihr Heim wird fest gegründet sein. Ihre Sitten werden fröhlich sein. Benachbarte Organisationen mögen auf Sichtweite aneinandergrenzen; Ihr Krähen und Bellen mag hier wie dort hörbar sein. Doch mögen durchaus die Menschen ihr Leben beschließen, Ohne hinübergegangen oder herübergekommen zu sein.

81 Der reife Weg


Wahre Worte sind nicht wohlgesetzt; Wohlgesetzte Worte sind nicht wahr. Wer gut ist, sichert sich nicht ab; Wer sich absichert, ist nicht gut. Wer Wissen hat, ist nicht gelehrt; Wer gelehrt ist, hat kein Wissen. Reife Menschen horten nichts. Je mehr sie für andere tun, desto mehr gewinnen sie; Je mehr sie anderen geben, desto mehr besitzen sie. Das Tao der Natur Ist Nutzen ohne Schädigung. Das Tao der reifen Menschen Ist Wirken ohne Streit.


Der Weg und die Kraft. Tao-te-king. R. L. Wing. Bechtermünz. ISBN: 3828918220